Seit einiger Zeit ist wieder ein neues Kickstarter-Projekt in aller Munde. Die Rede ist vom PHANTOM – The Robotic Chessboard. Ein weiterer Versuch, einen selbstziehenden Schachcomputer auf den Markt zu bringen. Nicht wenige Schachspieler hoffen, dass es sich hierbei nicht wieder um einen Fake handelt, wie wir es beim Regium-Schachcomputer erleben durften.
Die gute Nachricht ist, dass es den PHANTOM – The Robotic Chessboard tatsächlich geben wird. Die schlechte Nachricht ist, dass bei dem Bewerben dieses Schachcomputers ziemlich viel Augenwischerei betrieben wird, welche wohl dafür sorgt, dass mittlerweile über 1 Millionen Dollar eingesammelt wurden.
Werfen wir einen Blick auf die Kickstarter-Seite des Projektes, springt uns folgender Eyecatcher ins Auge:
Wir sehen ein flaches Schachbrett im Video, auf welchem sich die Schachfiguren wie von Geisterhand bewegen. Auf den ersten Blick wirkt das natürlich bahnbrechend und richtig cool. Wie haben die es nur geschafft, diese Technik in einem so flachen Brett unterzubringen? Wahnsinn! Scrollt man durch das Angebot und die Beschreibung, sieht man sehr schön, wie der Erfinder hinter diesem Projekt es sehr gekonnt schafft, durch raffinierte Aufnahmewinkel und dunklen Hintergrund dem interessierten Schachspieler vorgaukelt, dass es sich hierbei tatsächlich um ein flaches Schachbrett handelt.
Diese Augenwischerei zieht sich durch das komplette Angebot und gerade bei den Videos sieht man, wie man unbedingt vermeiden wollte, den tatsächlichen Unterbau des Schachcomputers zu zeigen. Bei einigen Bildern und Videos lässt sich bei genauem Hinschauen aber erahnen, dass das Schachbrett nicht ganz so flach ist. Man sieht hier und da einen schwarzen Brett-Unterbau, welcher aber durch klug gewählten Kamerawinkel immer noch flach aussieht. Passend hierzu wird auf der Angebotstafel mit der Produktauswahl natürlich auch wieder ein schwarzer Hintergrund gewählt:
Erst am Seitenende der des Kickstarter-Angebots bekommt man einen Blick auf die verbaute Technik und sieht sehr schön, dass der Unterbau des Schachcomputers enormen Raum einnimmt und die in den Bildern suggerierte Bretthöhe nicht wirklich passt:
Ein animiertes GIF auf der Angebotsseite zeigt hierbei sehr gut, wie hoch der Schachcomputer tatsächlich ist. Der Betrachter des GIFs bekommt hier aber eher den Eindruck dass der Schachcomputer effektvoll schwebt:
Kommen wir nun zur Technik. Diese gab es schon vor 40 Jahren im Mephisto Phantom und etwas aktueller im Square Off Schachcomputer. Im Unterbau des Schachbretts ist ein Roboterarm mit einem Magneten verbaut, welcher die Figuren zieht. Beim Mephisto Phantom und Square Off wird das mit einem auf einer Schiene geführten Magneten gelöst.
Also alter Wein aus neuen Schläuchen mit den ewig gleichen Problemen. Damit die Figuren durch den unterhalb des Brettes befindlichen Roboterarm gezogen werden können, müssen diese äußerst leicht sein. Das bedeutet, dass die Figuren beim menschlichen ziehen leicht verrutschen und auch umfallen können. Das größte Problem ist aber die Langlebigkeit. Der Roboterarm bewegt sich mechanisch und sobald eine Mechanik im Spiel ist, bedeutet das automatisch Verschleiß. Industrielle Roboterarme sind nicht grundlos sündhaft teuer. Um einen Schachcomputer mit dieser Mechanik zu einen halbwegs kundenfreundlichen Verkaufspreis anbieten zu können, muss an der Wertigkeit des Materials gespart werden und das führt früher oder später zu Defekten.
Es hat schon seinen Grund, warum Schachcomputer mit dieser Technik nie lange auf dem Markt waren. Beispielsweise wurde der Excalibur Phantom Force Schachcomputer nach gerade mal 2 Jahren vom Markt genommen, da es einfach zu viele Reklamationen auf Grund von Defekten gab. Auch beim Square Off Schachcomputer nehmen die Reklamationen und Defekte zu.
Wir sehen hier nichts anderes, als einen Square Off Schachcomputer, welcher statt Schienen einen Roboterarm verwendet. Mich haben unzählige Emails erreicht, in welchen mir Schachfans geschrieben haben, wie erstaunt sie sind, dass diese ganze Technik in ein so dünnes Brett passt. Der Anbieter des Kickstarter-Projektes hat hier wirklich ganze Arbeit geleistet, diesen Eindruck zu vermitteln und viele Interessenten drückten mit Sicherheit bereits nach dem ersten Eyecatcher-Video auf den „Will haben“-Button.
In diversen Foren wird wie gesagt gehofft, dass es sich bei dem PHANTOM. The Robotic Chessboard Schachcomputer nicht um einen Fake handelt. Wenn man natürlich nicht weiß, dass hier ein tiefer Unterboden vorhanden ist, könnte man es tatsächlich für einen Fake halten. 🙂
Zu guter Letzt noch ein Foto von diesem Schachcomputer, welches auf der Kickstarter-Webseite leider nicht gezeigt wird:
Bis bald
Euer Benny
Pingback: Feuertaufe fürs Flaggschiff | Perlen vom Bodensee – das Schachmagazin
Hallo Benny,
danke für Deinen Beitrag und die detaillierte Schilderung der Hintergründe ähnlicher Ansätze.
Ich habe mir die Seite auch einmal angesehen. Mittlerweile werden auch die Dimensionen des Brettrs (incl. Unterbau) angegeben:
H: 80mm, B: 510mm L: 510mm
Theoretisch könnte es funktionieren.
Sollte die eingesetzte Technik wartungsfreundlich aufgebaut sein, und bei entsprechendem Angebot, wäre es auch denkbar Verschleißteile selbst zu tauschen und dem Gerät so einen langen Lebenszeitraum zu verleihen.
Das ist aber alles Zukunftsmusik. Und für die Kickstarter dieses Projekts vermutlich auch Neuland – d.h. sie müssen noch Erfahrung sammeln / try and error … Vermutlich auch über das fertige Produkt und entsprechendes Kundenfeedback / – Reklamationen.
Nun gut. Es gab noch 3 Walnuss-Classicbretter im Kickstart verfügbar … jetzt sind es nur noch 2 – eins habe ich eben reserviert und bezahlt – mal sehen ob / was letztendlich ankommt.
Lg. Rudi
Hallo Rudi,
schon aus beruflichen Gründen greife ich auf die entsprechenden Kickstarter-Projekte zu und bilde mir in der praktischen Anwendung meine Meinung. Bisher hat mich noch kein einziges Projekt im Bezug auf Langlebigkeit überzeugt. Es sind schöne Ideen, aber qualitativ kein hoher Anspruch. Mechanik bedeutet immer Verschleiß. Da kann man schon Hochachtung vor Autoherstellern bekommen.
Ich finde es aber gut, dass es diese Kickstarter-Projekte gibt. Die perfekten Feldversuche, was geht und was nicht geht.
Viele Grüße
Benny