Mein Artikel über das Erkennen von Cheatern (Link zum Artikel) hat nicht zuletzt durch einen Tweet von GM Nigel Short für Aufsehen gesorgt, wodurch mich viele Anfragen zu der Software IRWIN und dem Erkennen von Cheatern erreichten.
"Stockfish is the Viagra for impotent chessplayers" – Words of wisdom from @TopschachBenny
— Nigel Short (@nigelshortchess) April 13, 2021
Ein wesentlicher Punkt wurde jedoch eher unbeachtet gelassen. Ich möchte ich an dieser Stelle ein paar Worte über den Umgang mit Cheatern verlieren. Auch wenn es vielen Schachspielern und auch Turnierleitern in den Fingern juckt, sollte man Cheatern immer die Chance geben, sich ohne Schaden aus der Affäre ziehen zu können. Ich möchte dies exemplarisch anhand eines Turnieres darstellen, welches vor einigen Monaten von unserem Schachkreis organisiert wurde und an welchem ich teilgenommen habe.
Das Turnier erstreckte sich über 2 Tage und es wurden 8 Runden (4 pro Tag) mit einer Bedenkzeit von 20 Minuten + 5 Sekunden/Zug im Schweizer System gespielt. Vor der vierten Runde habe ich mir einen Überblick über die Partien der führenden Spieler gemacht und wurde bei den Partien des führenden Spielers stutzig. Die Move-Time war genauso verdächtig wie die Eröffnungswahl und auch der Spielstil passte überhaupt nicht zu dem Spieler hinter dem Account.
Eine weitere Auffälligkeit war, dass der besagte Spieler sich für dieses Turnier extra einen neuen Lichess-Account angelegt hat. Cheater wollen damit vermeiden, dass Lichess bei einer Prüfung Referenzpartien des Spielers zur Verfügung hat. Da ich wusste, wer hinter dem Account steckt, konnte ich die bisher drei gespielten Partien recht gut mit von dem Spieler OTB gespielten Partien vergleichen.
Noch vor der vierten Runde habe ich dem Turnierleiter meine Bedenken gegenüber dem Spieler geäußert und bekam als Antwort, dass da schon alles in Ordnung ist und ich der einzige sei, der Bedenken bei dem Spieler hat. Die vierte Runde wurde gestartet und wieder hatte der betreffende Spieler sehr ungewöhnlich gespielt. Da die nächsten 4 Runden einen Tag später gespielt wurden, nutzte ich die Zeit, um mir einen genauen Überblick zu verschaffen. Lichess stellt hierzu die Möglichkeit bereit, gespielte Schachpartien in Echtzeit wiederzugeben:
Es ist tatsächlich etwas anderes, wenn man nur einen Blick auf die Move-Time-Statistik wirft oder sich die Partie nochmal in Echtzeit ansieht. Man kann sich bei Letzterem viel besser in die Partie und die Spieler hineindenken und bekommt hierbei nicht nur ein Gefühl für auffällige Schlüsselstellungen, sondern auch für den Verlauf der Partie im Gesamten.
Ich war mir nun 100% sicher, dass der betreffende Spieler in seinen Partien zum Einen ein Eröffnungsbuch verwendet, als auch eine Engine zur Unterstützung hinzuzieht. Nochmals kontaktierte ich den Turnierleiter und teilte mit, dass das für den betreffenden Spieler definitiv nicht gut ausgehen wird. Lichess prüft auch ohne Meldung die Partien der ersten drei Sieger eines Turniers und spätestens dann wird der Spieler am Pranger stehen.
Um dies zu vermeiden schlug ich dem Turnierleiter vor, den betreffenden Spieler bezüglich seines verdächtigen Spiels anzuschreiben und ihn darüber aufzuklären, dass Lichess bei dermaßen auffälligem Spiel in jedem Fall reagieren wird. Weiterhin riet ich dem Turnierleiter, dem Spieler die Chance zu geben, das Turnier vorzeitig zu verlassen und damit sein Gesicht zu waren. Der Cheater hätte sich hierzu irgendeinen Grund einfallen lassen können, wie zum Beispiel „Familienausflug, etc.“.
Der Turnierleiter wollte davon nichts wissen und so spielte der Cheater auch die letzten 4 Runden bei dem Turnier mit und wurde anschließend Turniersieger. Wenige Tage später passierte nun genau das, was sowohl der Turnierleiter, als auch der Cheater hätten vermeiden können. Lichess prüfte die Partien des Siegers und es kam wie es kommen musste:
Auf dem Siegertreppchen der Turnierseite auf Lichess konnte nun jeder sehen, dass der Sieger gegen die Regeln verstoßen hat. Der Pokal wurde grau hinterlegt und sein Lichess-Name war durchgestrichen. Alle Gegner welche er in diesem Turnier hatte, bekamen zusätzlich die Meldung, dass der betreffende Spieler Computerunterstützung in seinen Partien verwendet hat. Der Spieler stand nun am Pranger.
Ein Komplettversagen des Turnierleiters! Nach der vierten Runde war die Chance noch vorhanden, dem Cheater ins Gewissen zu reden. Er hätte problemlos aus dem Turnier ohne Gesichtsverlust aussteigen können. Der Turnierleiter hat sich jedoch dazu entschlossen, den Kopf in den Sand zu stecken und ließ den Cheater mit Vollgas gegen die Wand fahren.
Nun war der Cheater einem enormen Shitstorm von vielen Mitgliedern aus dem Schachkreis ausgesetzt und nicht wenige vertraten die Ansicht, dass ihm das zurecht geschieht.
Interessant war die Reaktion des Turnierleiters und des Schachkreises. Diese haben den Cheater in Schutz genommen und es dem Schreiber dieser Zeilen zum Vorwurf gemacht, diesen Spieler überprüft und verdächtigt zu haben. Nur durch mein Prüfen sei es praktisch zu dieser Situation gekommen. Ziemlich perfide wurde hier die Rolle des Täters und die des Opfers getauscht.
Einige Spieler des Schachkreises haben den betreffenden Spieler dann auch direkt bei Cheating Officer Ralph Alt gemeldet. Daraufhin wurde vom Schachkreis eine Mail verfasst, in welcher mit Sodom und Gomorra gedroht wurde, wenn man den Fall öffentlich machen würde. Bis zum heutigen Tag gab es, außer von Lichess, keine Sanktionen gegen den Cheater.
Mein Rat an alle Turnierleiter ist daher: Lasst es nicht soweit kommen! Nehmt begründete Verdächtigungen ernst und lasst einen verdächtigen Spieler nicht ins offene Messer laufen. Am Ende ist es für den Cheater eine katastrophale Situation, für den Turnierleiter zumindest eine unangenehme Situation, wenn er den verdächtigen Spieler persönlich kennt und für alle Teilnehmer die ein komplettes Wochenende für ein Turnier geopfert haben absolut ärgerlich und frustrierend.
Man muss nicht jede Partie bis zum Matt spielen. Manchmal ist es einfach anständiger, vorher aufzugeben.
Bis bald
Euer Benny