Über das Erkennen von Cheatern beim Onlineschach

In den letzten Tagen und Wochen wurde viel darüber diskutiert, wie man Cheater beim Onlineschach erkennt und welche Möglichkeiten es zur Sanktionierung von Cheatern gibt. Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass es sich beim Onlineschach grundsätzlich immer nur um Verdachtsfälle handelt. Die Überführung eines Cheaters ist nur anhand von Indizien möglich. Mit rauchendem Colt in der Hand wird man einen Cheater nicht erwischen können.

Immer wieder wird auch die Frage nach dem Warum gestellt und oft liest man Kommentare wie „Ich verstehe ich nicht, was es jemandem bringt, beim Schach zu cheaten„. Die Motive eines Cheaters zu ergründen ist reine Zeitverschwendung. Gelegenheit macht Diebe. Das Internet gibt Menschen die Möglichkeit anonym Straftaten zu begehen. Menschen, welche im Zeitalter vor dem Internet sich nie etwas zu Schulden haben kommen lassen, weil sie einfach keine Möglichkeit dazu hatten, bekommen mit dem Internet das passende Werkzeug.

Beim Cheaten im Onlineschach müssen wir uns einfach damit abfinden, dass es existiert und die Frage nach dem Warum ist irrelevant.

Zunächst sollten wir einen Blick darauf werfen, welche Möglichkeiten des Cheatens es beim Onlineschach gibt. Am Verbreitesten ist es, sich beim Onlineschach das Smartphone neben den PC zu legen, dort ein Schachprogramm in Daueranalyse laufen zu lassen und jeden Zug den der Gegner am Bildschirm ausführt auf das Smartphone zu übertragen und den Antwortzug der Engine auf dem Smartphone auf dem PC als eigenen Zug auszuführen. Dies ist die gängigste und simpelste Methode. Bevor es leistungsstarke Smartphones gab, haben Cheater neben ihrem Online-Schach-Fenster ein zweites Fenster mit einem Schachprogramm geöffnet. Cheater haben hierbei immer zwischen den beiden Fenstern hin- und hergewechselt. Diesen Wechsel im „Viewpoint“ können Online-Schach-Anbieter aber schon lange feststellen und wenn ein Onlinespieler in einer Partie mit 30 Zügen 30 mal den Viewpoint wechselt, muss der Cheater schon äußerst kreativ sein, um dies plausibel und vorwurfs-entkräftend zu erklären.

Bei Cheatern, welche praktisch vom ersten bis zum letzten Zug ihr Smartphone zum Cheaten verwenden, sieht ein Movetime-Protokoll überlicherweise folgendermaßen aus:

Move Time Lichess

Während Weiß die Eröffnungszüge herunterspult, sieht man bei Schwarz von Beginn an ungewöhnliche Ausschläge und kein Zug wurde in weniger als 6 Sekunden ausgeführt. Ohne die Partie zu kennen, können wir hier von einem Anfangsverdacht sprechen. Die Frage ist nun, wie man als Schiedsrichter weiter verfahren sollte. Als Schiedsrichter muss man hier schrittweise vorgehen und innerhalb der Partie nach sogenannten Only-Moves suchen. Only-Moves sind beispielsweise Schachgebote, bei denen der Spieler nur einen Antwortzug hat und auch Schlagzüge, bei welchen es offensichtlich ist, dass es nur einen guten Zug (Zurückschlagen) gibt.

In der zum Movetime-Diagramm zugehörigen Partie finden wir folgende Stellung:

Stellung 1

Weiß hat soeben mit dem Läufer den gegnerischen Läufer auf b7 geschlagen. Der einzige sinnvolle Zug von Schwarz ist nun, mit der Dame den Läufer auf b7 zu schlagen. Hier gibt es keine zweitbesten Züge oder komplizierte Varianten zu berechnen. Schwarz hat logischerweise auch mit der Dame auf b7 genommen:

Stellung 2

Nun kommt aber der Knackpunkt. Schwarz hat für diesen Zug sage und schreibe 15,5 Sekunden seiner Bedenkzeit benötigt. Ein Cheater könnte hier noch mit der Ausrede kommen, dass er sich, nachdem Weiß den Läufer auf b7 geschlagen hat, erstmal ein Bier aufgemacht hat und deshalb mit dem Zurückschlagen so viel Zeit verbraucht hat. Aber spätestens dann, wenn in der besagten Partie der Schwarzspieler bei praktisch jedem Only-Move „Ewigkeiten“ zur Zugausführung benötigt, kommt der Cheater schnell in Erklärungsnot. Bevor man nun den Ablauf dieser Partie im Detail aufbröselt, wirft man einen Blick auf andere Partien in der Historie es Spielers. Als Schiedsrichter muss man sich zunächst einen Überblick von den einfach zu erkennenden Indizien schaffen. Die Zeit die zum Ausführen von Zügen benötigt wird, ist hierbei ein ziemlich einfaches, aber sehr starkes Indiz. Es reicht tatsächlich aus mehrere Partien des selben Spielern durchzuklicken und einzig auf die Only-Moves einen Blick zu werfen.

Hat man sich anhand von den gespielten Partien einen Überblick geschaffen, geht man mit dem nächsten Schritt ins Detail. Schauen wir uns hierzu folgende Stellung an:

Stellung 3

Der Cheater hat mit Schwarz in dieser Partie ein äußerst kompliziertes Abspiel im Pirc gewählt, bei welchem selbst Großmeister Probleme haben, den Laden zusammenzuhalten. Schwarz folgte während der gesamten Partie immer den Vorschlägen von Stockfish. Bemerkenswert ist bei dieser Partie, dass der Cheater bereits mitbekommen hat, dass er auf Grund seiner vorangegangenen Partien im Turnier, unter Beobachtung steht. Man muss hierzu auch sagen, dass der Klarnamen des Spielers allen Teilnehmern und auch der Turnierleitung bekannt ist. Es handelte sich um ein offizielles Turnier eines Schachkreises. Die tatsächliche DWZ des Spielers bewegte sich stagnierend über Jahre zwischen 1500 und 1600.

Fernab von seinem Eröffnungsrepertoire, spielte der Cheater plötzlich Abspiele von Eröffnungen, welche er noch nie OTB auf dem Brett ausgepackt hat. Passend hierzu hat der Cheater erklärt, dass er die Corona-Freizeit genutzt hat, um sein Eröffnungswissen auszubauen. Aber zurück zur Stellung:

Schwarz hat in dieser Stellung Sxe4 ausgepackt. Die Berechnung der durch dieses Opfer eingeleiteten Varianten, bringt einen Schachspieler dieser Klasse schon ziemlich an die Grenzen. Was der Cheater bei der Ausführung seiner Züge aber nicht beachtet ist, dass die Engine sich bei derlei Kombinationsspiel schon etwas dabei „denkt“. Bei diesem besagten Opfer liegt die Pointe genau 7 Züge (14 Halbzüge!) später begraben. Es kam 7 Züge später zu folgender Stellung:

Stellung 4

Die mit dem „Springeropfer“ Sxe4 eingeleitete Taktik funktioniert nur, weil Schwarz am Ende der Kombi den Zug Tf1+ spielen kann! Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Schwarz diese Pointe bereits 7 Züge vorher auf dem Schirm gehabt haben muss. Mal abgesehen, von all den anderen taktischen Verwicklungen die es zu berechnen gab. Werfen wir nun einen Blick auf die Zugzeit von Schwarz.Stellung 5

Sage und schreibe 40 Sekunden benötigte Schwarz, um die Pointe seiner Mega-Kombi am Brett auszuführen. Die Antwort des Cheaters auf meine Nachfrage war auch ziemlich entlarvend:

Cheater 1

Die von ihm gespielte Kombination hatte Weltklasseformat und Tf1+ war ein Motiv, dass in jedem möglichen Abspiel seiner Kombination zwischen Sieg und Niederlage entschied. Und er schreibt, dass der Tf1+ nicht gleich gesehen hat. Wäre Tf1+ nicht möglich gewesen, hätte er niemals mit Sxe4 seine Kombi gespielt. Er hätte es also in jedem Fall 7 Züge vorher schon auf dem Schirm haben müssen.

Es sind genau diese Dinge, die man als Schiedsrichter im Auge haben muss. Gerade wenn es um taktische Schläge von Cheatern geht, kommen die Pointen sehr oft erst viele Züge später zum Vorschein. Wenn es sich dann zusätzlich noch um eine Kombination handelt, bei welcher der Gegner mehrere Wege einschlagen kann, muss man sich fragen, ob ein Spieler dieser Klasse fähig ist, all die Komplikationen zu berechnen. In dem oben gezeigten Fall ist der Schwarzspieler mit seiner Antwort „Weil ich den Zug nicht gleich gesehen habe.“ selbst in die Falle getappt.

Man kann sich übrigens sehr einfach ausmalen, warum der Cheater plötzlich 40 Sekunden für die recht einfache Pointe benötigt hat. Der Cheater wusste, dass er unter Beobachtung steht und nachdem er mit Sxe4 ohne nachzudenken den Empfehlungen der Engine folgte, wurde ihm 6 Züge später bewusst, was für eine gigantische Kombi er da gerade aufs Brett gezaubert hat. Als Cheater stellt man sich dann natürlich die Frage, wie man aus der Nummer noch rauskommen kann, damit es nicht ganz so übertrieben gut aussieht. Mit Sicherheit hat er, wie er im Chat schreibt darüber nachgedacht, dass die Abwicklung mit Mehrbauern auch gewonnen ist, aber mit wenig Zeit auf der Uhr wird das Cheaten schwierig und da nimmt ein Cheater doch lieber den schnellen Weg. Im Prinzip war es sowieso egal. 😉

Grundsätzlich empfehle ich Schiedsrichtern und Spielern, sich mit Teilnehmern die unter Verdacht stehen über die gespielten Partien zu unterhalten. Hierbei darf man dem Verdächtigen aber nicht den Eindruck vermitteln, dass man ihn verdächtigt. Am besten ein paar lobende Worte zur Partie sagen und dann ein paar inhaltliche Fragen zur Partie stellen. Sehr schnell merkt man an den Antworten, dass der Cheater mit dem Kopf nicht wirklich in der Partie war und nur der zügeausführende Knecht einer Engine ist.

In diesem Beispiel hat sich der Cheater nicht wirklich viel Mühe gegeben, um nicht in Verdacht zu geraten. Es dauerte auch nicht lange, bis der Cheater von Lichess den entsprechenden Stempel bekam. Bis heute streitet er natürlich alles ab. Diese billige Art des Cheatens wird übrigens von der Mehrheit der Cheater angewendet, weil es nicht wirklich Mühe macht. Auch unterschätzen diese Billig-Cheater, was man heutzutage alles prüfen kann.

Kommen wir nun zu dem ACPL Wert, der in jeder Partie für beide Spieler ermittelt wird. Erst kürzlich haben die Perlen vom Bodensee hierzu etwas veröffentlicht:

DSOL: „90 Prozent spielen fair“

In dem Beitrag wird von einer ACPL-Rangliste geschrieben und von des Cheatens verdächtigen Hobbyspielern, welche weniger Fehler in einer Partie machen, als Weltklassespieler. Eine solche ACPL-Rangliste ist natürlich Augenwischerei. Ein ACPL-Wert hat alleine für sich genommen zunächst überhaupt keine Aussagekraft. Nur im Zusammenhang mit der entsprechenden Schachpartie, kann man den ACPL-Wert als Indiz hinzuziehen. Der ACPL-Wert gibt Auskunft darüber, wie hoch die Fehlerquote eines Spielers in einer Partie war. Diesen Wert kann man dann anschließend mit Statistiken vergleichen, in welchen aufgezeigt wird, wie oft beispielsweise ein DWZ 1500er durchschnittlich in einer Schachpartie fehlgreift.

Das problematische hierbei ist, dass dieser ACPL-Wert nichts darüber aussagt, wie schwer eine Schachpartie zu spielen war. Ich selbst habe reihenweise Partien gespielt, in welchen in einen niedrigen zweistelligen und oft auch einstelligen ACPL-Wert habe. Schaut man sich die Partien an, sieht man sehr gut, dass es keine komplizierten Varianten zu berechnen gab und der Anspruch an beide Spieler ziemlich gering war.

Es gibt Stellungstypen, die ein Großmeister nicht besser spielen kann als ein Hobbyspieler mit 2000 DWZ. Es macht einen Unterschied, ob man einen Abtausch-Spanier mit einfachen und klaren Fortsetzungsideen auf dem Brett hat oder ein hochkomplexes Mittelspiel aus der königsindischen Verteidigung, bei der jeder Zug ein Tanz auf der Klinge ist.

Wenn ein 1500er einen ACPL-Wert von 15 in einer Partie hat, waren die in der Partie entstehenden Stellungsbilder möglicherweise nicht anspruchsvoll genug, um den 1500er vor Probleme zu stellen. Ein geringer ACPL-Wert ist zunächst nichts weiter als ein Indiz, sich die entsprechende Partie genauer anzuschauen. Hier ist es wichtig, die Komplexität einer Partie zu bewerten. Wie oft hatte ein Spieler die Möglichkeit, innerhalb der Partie Fehler zu machen? Das es laut der im Beitrag genannten ACPL-Rangliste Hobbyspieler gibt, die weniger Fehler in ihren Partien machen als Weltklassespieler, ist damit ziemlich einfach zu erklären. In der von mir oben gezeigten Partie, hatte der Cheater einen ACPL-Wert von 25:

ACPL Wert

Die gespielte Partie war jedoch dermaßen Komplex und die Chancen von Schwarz von der Klippe zu fallen waren dermaßen hoch, dass dieser ACPL-Wert ein ziemlich erdrückendes Indiz darstellt.

Bei der von mir hier dargestellten Verfahrensweise ist viel Handarbeit nötig. Die von Lichess verwendete Software namens IRWIN nimmt einem sehr viel Arbeit ab. Jeder Turnierleiter kann sich diese Software kostenlos herunterladen und einsetzen:

https://github.com/clarkerubber/irwin

Die Software muss man natürlich vorher trainieren und hierzu empfehle ich die mittlerweile über 2 Milliarden Online-Schachpartien, welche man sich auf Lichess herunterladen kann:

https://database.lichess.org/

IRWIN

IRWIN

IRWIN nimmt einem hierbei viel Arbeit ab und ist ein guter Grundfilter. Diese Software sollte zur Grundausstattung eines jeden Turnierleiters gehören, der Onlineturniere durchführt. Dieses Programm darf man nicht nicht als automatische Cheater-Verurteilungssoftware sehen, sondern als arbeitserleichterndes Werkzeug.

Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele Schiedsrichter und Turnierleiter überhaupt keine tiefgehende Ahnung haben, welche Möglichkeiten des Cheatens überhaupt existieren. Ich habe auch das Gefühl, dass bei vielen überhaupt nicht der Wille vorhanden ist, sich mit den Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Dabei ist dieses Thema durchaus spannend.

In den Anfängen des Onlineschachs war das Time-Cheating sehr beliebt. Damals synchronisierten die Schachuhren beim Onlinespiel noch mit der Systemzeit des PCs des Spielers. Dies hatte zur Folge, dass kleine Tools im Umlauf waren, welche die Systemzeit des eigenen PCs langsamer laufen ließen. Spielte man gegen jemanden der so ein Tool benutzt, sah man beispielsweise wie 10 Sekunden von der Zeit des Gegners abgelaufen sind und nachdem er seinen Zug ausgeführt hat, waren es nicht mehr 10 Sekunden, sondern 8 Sekunden. Onlineschachanbieter schoben des auf den LAG, der beim Onlineschach (damals) nicht unüblich war. Auf diese Weise blieben solche Cheater lange Zeit unentdeckt. Aber das ist Schnee von gestern.

Neben der großen Masse an Cheatern, welche wie ich oben aufgezeigt habe ziemlich einfallslos agieren, gibt es aber auch Cheater die sich mehr Mühe geben. Der typische Cheater mit „Verstand“ geht folgendermaßen vor.

Er spielt generell die Eröffnung selbst und greift hierbei immer auf sein vorhandenes Repertoire zurück. In der Eröffnungsphase setzt er auch Premoves ein. Sobald die Eröffnung abgeschlossen ist, überträgt er die Stellung in sein Smartphone und lässt die Engine laufen. Nun schaut er sich auf dem Smartphone verschiedene interessante Fortsetzungen an. Wichtig ist, dass es zu Verwicklungen kommt. Besonders beliebt ist bei Cheatern hierbei ein sog. Scheinopfer. Es handelt sich hierbei um ein Figurenopfer, welches nicht korrekt ist, aber als kleine Kompensation die Sicherheit des gegnerischen Königs beeinträchtigt. Engines finden die Idee nicht toll, aber sei es drum. Ab diesem Moment spielt der Cheater nur noch 1st und 2nd Engine-Choice-Moves und es wird nicht lange dauern, bis der Cheater den zuvor künstlich erzeugten Nachteil egalisiert hat und sogar Vorteil besitzt. Anstatt aber von diesem Moment an nur noch Engine-Züge zu spielen, sucht der Cheater nach Abwicklungen in technisch gewonnene Endspiele. Engines wollen den schnellen Weg gehen, aber damit es menschlich wirkt, will der Cheater ins gewonnene Endspiel, auch wenn es dadurch länger dauert. Der Vorteil für den Cheater ist, dass er das gewonnene Endspiel ohne Enginehilfe zu Ende spielen kann.

Ebenfalls ein Klassiker: Der Cheater spielt wieder die Eröffnung selbst und nach Abschluss der Eröffnung gibt er wieder die Stellung ins Smartphone ein und führt so lange Enginezüge aus, bis er klaren Vorteil hat (Figurengewinn, etc.). Den Rest spielt der Cheater dann selbst zu Ende.

Ein Cheater mit „Verstand“ achtet auch auf Premoves. Wenn der Gegner beispielsweise mit seinem letzten Zug die Damen tauschen will und die Dame des Cheaters schlägt, wird dieser Schlagzug nicht erst ins Smartphone eingegeben und auf den Antwortzug der Engine gewartet, sondern direkt zurück geschlagen. Die Züge lassen sich nach solch einem Abtausch problemlos nachträglich ins Smartphone übertragen.

Der Cheater mit „Verstand“ achtet auch auf sein Zeitmanagement. Schlägt die Engine einen Zug vor, auf den er selbst nie gekommen wäre und sich als ziemlich tiefgründig herausstellt, lässt er mehr Zeit von der Uhr heruntertickern.

Diese Cheater mit „Verstand“ sind beim Onlineschach die echten Problemfälle. Das wichtigste Indiz ist hierbei ist, dass diese Cheater nach einer schnell gespielten Eröffnung plötzlich ziemlich viel Zeit mit dem nächsten Zug verbrauchen, weil sie die Stellung in das Smartphone übertragen müssen und anschließend verschiedene Fortsetzungen am Smartphone analysieren. Meistens handelt es sich um einen plötzlichen Zeitverbrauch von 30-60 Sekunden. Um einen solche Cheater auf die Schliche zu kommen, muss man die Unterschiede zwischen menschlichem Schach und Engine-Schach kennen. Menschen neigen dazu, einen zuvor gefassten Plan umzusetzen. Es ist beispielsweise so, dass Menschen einen Königsangriff starten und ihr Spiel auf den Königsflügel verlagern. Die Suche nach dem Mattangriff beginnt und der Mensch ist darauf fixiert. Nun kommt es nicht selten vor, dass der Gegner seine Truppen vom Damenflügel abzieht und seinem König zu Hilfe eilen lässt. Die dadurch am Damenflügel des Gegners entstehenden Schwächen sind für das menschliche Auge fast immer marginal. Der menschliche Spieler setzt seinen Angriff am Königsflügel fort. Engines agieren hier aber anders. Diese haben die Rechenkraft, selbst die marginalste Schwächung an einem bisher belanglosen Flügel als Spielentscheidend zu erkennen und schwenken direkt vom Königsflügel auf den Damenflügel.

Erwähnen sollte ich hier noch, dass wir bei diesen Cheatern mit „Verstand“ von einer tatsächlich vorhandenen Spielstärke zwischen 1700 und 2000 DWZ ausgehen. Starke Großmeister haben grundsätzlich das komplette Brett im Blick aber gerade Vereinsspieler der Mittelklasse neigen dazu, den Blick nur noch darauf zu richten, wo die aktuelle Action stattfindet.

Auch in solchen Fällen lohnt der Blick ins Zeitmanagement des Cheaters.

Ein weiterer Ansatz sind die „Spielmacken“, die jeder menschliche Spieler hat. Beispielsweise gibt es Spielertypen, welche ihr Läuferpaar bis aufs Blut verteidigen und lieber einen Stellungsnachteil in Kauf nehmen, als sich von ihrem Läuferpaar zu trennen. Schaut man sich die Partien-Historie von Schachspielern an, erkennt man schnell, welche „Macken“ jeder Schachspieler hat. Wenn ein solcher Liebhaber des Läuferpaares seinen Spielstil plötzlich ändert und sich nicht mehr mit allen Mitteln ans Läuferpaar klammert, sollte man den Spieler einfach mal fragen, was zu seinem Umdenken geführt hat.

In Schwierigen Fällen ist das Erkennen von Cheatern nur durch Kommunikation möglich. Man muss nur die richtigen Fragen zu bestimmten Stellungen in der Partie stellen und man bekommt anhand der Antworten einen guten Einblick in das tatsächlich vorhandene Schachwissen des verdächtigen Spielers.

Ich hatte vor langer Zeit mal einen Fall, in welchem ich mit einem cheatenden Prahlhans telefoniert habe und ihn Fragen zu einer seiner Partien gestellt habe. Mit den weißen Steinen hat er aus der Eröffnung sehr schön für schwache Felder in der gegnerischen Stellung gesorgt, ein anschließender Läufertausch führte dazu, dass der Gegner die Felder nicht mehr kontrollieren konnte. Bei diesem Telefonat stand der Cheater wie ein Bock vor der Berg. Er konnte mir nicht einmal erklären, was ein schwaches Feld ist und zum Läufertausch sagte er nur, dass ihn dieser Läufer gestört hat. Auf die Frage, was den Läufer störend macht, hatte er keine Antwort. Ich habe ihm dann seine Partie, die er angeblich selbst gespielt hat, erklärt. Mit diesen Erklärungen ist er anschließend inflationär hausieren gegangen und jedes mal wenn er anderen irgendwelche Partien erklärt, liegt sein Schwerpunkt bei schwachen Feldern. Diese Pappnase hat übrigens bis heute keine offizielle DWZ oder ELO und denkt, dass er so um 2000 ELO haben würde. An einem richtigen Schachbrett hat ihn auch noch nie jemand gesehen.

Das persönliche Gespräch mit verdächtigen Schachspielern bringt oft mehr Erkenntnisse, als stundenlange Partieanalysen. 

Alle Typen von Cheatern hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Ich möchte aber noch kurz auf einen Cheater-Typ eingehen, der ebenfalls sehr häufig auftritt. Die Rede ist vom „Gerechtigkeits-Cheater“.

Dieser Cheater-Typ will eigentlich nicht cheaten. Beim Onlinespielen lässt er aber oft die Maus zu schnell los und führt Züge aus, die er eigentlich nicht ziehen wollte. Im schlimmsten Fall verliert er direkt in der Eröffnung die Dame. Hier fühlt dieser Cheater-Typ sich dazu berufen, die Partie mit Enginehilfe wieder in die richtige Bahn zu lenken. Das Bewertungsdiagramm solcher Partien sieht dann meistens so aus:

Cheater 5

Der „Gerechtigkeits-Cheater“ erspielt sich aus der Eröffnung heraus mit Weiß eine Gewinnstellung, welche er durch einen „Mouse-Slip“ nicht nur verdirbt, sondern auch noch in eine Verluststellung umwandelt. Nun greift der Cheater zur Engine und will damit für Gerechtigkeit sorgen. Am Ende hat er die Anomalie in der Matrix korrigiert, die Partie gewonnen und seinen Lichess-Account verloren.

Ein weiterer Faktor ist die Ausdauer eines Spielers. Spielt man ein Rapid-Onlineturnier, kann das schon mal ein paar Stunden dauern. Für uns Hobbyspieler ist es schlicht unmöglich, über einen solch langen Zeitraum unsere Konzentration konstant oben zu halten. Gerade gegen Ende eines Turnieres nimmt die Fehlerquote in Partien zu. Wer nach 6 Stunden in der letzten Runde in einer komplizierten Partie mit einer niedrigen zweistelligen ACPL und fehlerlosem Spiel das Turnier beendet und anschließend noch den Schönheitspreis für die beste Partie kassiert, macht sich verdächtig.

Für das Erkennen von Cheatern braucht man als Schiedsrichter und Turnierleiter unglaublich viel Erfahrung im Onlineschach. Um Cheater zu erkennen reicht es nicht aus, sich nur mit Partien zu beschäftigen, in welchen jemand unter Verdacht steht, gecheatet zu haben. Viel wichtiger ist es, ein Gefühl für Partien zu bekommen, in welchen nicht gecheatet wurde. Ich selbst habe alleine auf dem Lichess-Server über 35000 Partien gespielt und wenn ich nach 50 Partien auf einen Gegner treffe, bei welchem der Spielfluss anders ist als bei menschlichen Gegnern, merke ich das.

Schiedsrichter und Turnierleiter müssen sich auch unbedingt von dem Gedanken lösen, dass Person X oder Person Y niemals cheaten würden. Alter und Geschlecht spielen keine Rolle. Ich kenne einen Vereinsspieler, welcher sich seit über 50 Jahren dem Schach verschrieben hat. Über 70 Jahre alt, ohne nennenswerte DWZ, aber am Schachbrett immer fair und angenehm. Mit den Corona-Einschränkungen kam er zum ersten Mal in Berührung mit dem Onlineschach. Keine zwei Wochen später hatte er sich eine schöne 2200 Ratingzahl auf Lichess erspielt und wurde von Lichess gesperrt. Darauf angesprochen sagte er mir, dass die Versuchung einfach zu groß war.

Gelegenheit macht Diebe

Bis bald

Euer Benny

 

13 Gedanken zu „Über das Erkennen von Cheatern beim Onlineschach

  1. Superspannende Ausführungen – aber ich würde trotzdem gerne wissen, warum Leute cheaten :-). Du hast in einem Tweet erwähnt, beim Shogi in Japan würde niemand auf die Idee kommen zu cheaten, weil eine Aufdeckung gleichbedeutend mit „Gesichtsverlust“ und nachhaltiger sozialer Ächtung wäre. Im Umkehrschluss heißt das, dass wir Bedingungen schaffen könnten, die cheaten sozial schwerer machen – wenn wir besser wissen, was dahinter steckt.

    PS: Ich teile die Interpretation zu Japan nicht ganz, ich glaube es ist etwas komplexer als „Gesichtsverlust“ – aber es gibt offensichtlich einen sozialen Kitt und Konsens, der Cheaten verhindert. Den würde ich eigentlich auch gerne noch genauer kennen und nicht einfach auf das etwas stereotype „Gesicht verlieren“ zurückführen. Aber das ist ein etwas anderes Thema und soll auch gar keine Kritik sein ;-).

    PS 2: Was ist, wenn ich eine vergleichsweise „lausige“ Engine mit vielleicht nur 2900 benutze und auch da nicht immer gleich die erste und zweite Wahl und bei +5 für mich auch mal einen Patzer einbaue, der mich auf +2 runterzieht? Da wirds doch wirklich schwer…

    • Hallo Christian,

      um etwas ausführlicher zum Thema Gesichtsverlust und sozialer Ächtung in Japan zu schreiben, reicht ein zeichenbeschränkter Tweet nicht aus. 🙂

      Ich hatte in meinem ursprünglichen Beitrag das Thema „Warum cheaten Schachspieler“ kurz angeschnitten, aber dann wieder gelöscht, weil es am Problem nichts ändert. Wir leben in einer Zeit, in welcher sich Menschen über die Anzahl von Likes definieren. Genauso ist für einen großen Teil der Schachspieler eine Wertungszahl im Schach ein Ausdruck ihrer persönlichen Klugheit. Frei nach dem Motto „Schaut alle her, wie schlau ich bin!“. Heutzutage können Menschen ohne Gesangsausbildung und ohne einen Ton zu treffen Popstar werden. „Autotune“ lässt jeden zum Star werden.

      Erfolg durch Arbeit ist out. Cheater spielen sich die Zahl hoch und denken, dass das tatsächlich ihre Spielstärke ist. Sie hatten in Partien ohne Engine einfach nur Pech, nen schlechten Tag oder waren einfach nur kurz unkonzentriert. Die Liste der Ausreden ist lang. Stockfish ist das Viagra für impotente Schachspieler.

      Bei Deinem Beispiel mit der „lausigen“ Engine ist immer noch die Move-Time ein wichtiger Indikator. Cheatet jemand über mehrerer Partien, fällt das immer auf. Die +5 musst Du Dir in Partien auch erst einmal erarbeiten. Es ist dann auch auffällig, wenn jemand gnadenlos gut spielt und dann plötzlich rumpatzt. Das kann man mal in einer Partie machen, aber wenn das öfter vorkommt, entsteht auch hier ein Muster.

      Ich kenne Cheater, die absichtlich Remis-Partien bei Turnieren spielen, damit es nicht auffällt.

      Gruß

      Benny

      • Ich merk schon, ich muss mein Cheat-Konzept noch verfeinern . Aber ich nehm online eh eher locker. Ein Indikator in deinen Beispielen ist ja aber auch der Vergleich OTB vs. online. Da endet dann die „seht mich an, ich bin so schlau-Masche“ irgendwie. Wenn sich die Leute untereinander real kennen, ist ein zu großer Abstand schwer zu erklären. Wie ist denn Shogi in Japan online organisiert? Eher personalisierter, so dass genau hier ein Hebel ist? Ich hab in Japan nur „unser“ Schach und ein bisschen Go gespielt und das ist ein bisschen her

        • Den Vergleich OTB zu Onlineschach wehren Cheater gerne ab. Da kommen dann so Aussagen wie „Online bin ich halt einfach besser„. Da gibt’s auch welche die nur online spielen und überall erzählen, dass sie vor Jahrzehnten mal ne INGO-Zahl von unter 100 hatten und schon ewig nicht mehr OTB gespielt hätten. Da hoffen die Cheater, dass man das heutzutage eh nicht mehr nachprüfen kann. Ich besitze jedoch alle INGO-Spiegel und kann ziemlich gut prüfen, ob jemand mal eine INGO-Zahl hatte. 😉

          Leute die sich untereinander kennen, fallen einem Cheater nicht in den Rücken. Da will niemand wegen sowas Unruhe haben und es wird eher dazu tendiert, den Cheater zu decken.

          Shogi ist in online genauso organisiert wie Schach. Es gibt offizielle und inoffizielle Turniere mit Preisgeldern. Anders als beim Schach, gibt es beim Shogi jedoch haufenweise Benimmregeln, an welche man sich strickt halten muss. Da sind viele Kleinigkeiten zu beachten, bei welchen der westliche Schachspieler einfach nur den Kopf schütteln würde. Auf einen respektvollen Umgang wird bis in die untersten Klassen sehr viel Wert gelegt. Beim Shogi gibt es beispielsweise überhaupt keine Proteste gegenüber Entscheidungen. Zwar besteht die Möglichkeit Protest einzulegen, aber der Anstand gebietet es, Entscheidungen zu akzeptieren, auch wenn man diese für nicht gerechtfertigt hält. So etwas wie „Ich bestehe auf mein von der Demokratie zugesprochenes Recht und…“ wird dort nicht ausgeübt. Das wirkt auf unser westliches Verständnis zunächst ziemlich einschränkend, aber wenn es sich genau betrachtet, funktioniert es sehr gut. Wenn sich jeder respektvoll gegenüber anderen verhält, gibt es keine Probleme. Neid und Missgunst habe ich beim Shogi nie kennengelernt.

  2. Erst mal vielen Dank für Deine erhellenden Ausführungen, Benny.

    Ich hab mir die aktuellen Cheating Fälle in der Online Liga angesehen und war am Ende unsicher, ob ich dem Urteil der Kommission folgen sollte oder nicht. Gut ist, dass man zurückhaltend mit dem Urteil umging und nur nach wahrscheinlich eindeutiger Beweislage zu einer Ahndung kam.

    Ich werde bei meiner persönlichen Neubewertung mal die von Dir vorgeschlagenen Verfahren im Auge behalten, halte das aber bei einer so großen Liga (3.000 Teilnehmer) auch nicht gerade für praktikabel. Man kann ja schließlich nicht jeden potentiellen Verdachtsfall persönlich anrufen und zu seiner Partie befragen. Dafür reicht bei der Masse die Zeit wahrscheinlich nicht.

    Am Ende wird man es bei Stichproben belassen müssen und insofern halte ich das aktuelle Verfahren wie es praktiziert wird, für o.k. Spieler, die unter eigenem Namen am Turnier teilnehmen, wissen, dass Sie unter Beobachtung stehen und dass Sie ggf. mit einer Strafe zu rechnen haben.

    Wenn dann trotzdem 0,27% der Teilnehmer unlauter spielen, ist das für mich kein Problem. Also ehrlich gesagt ist mir das egal, denn auch im richtigen Leben werden wir schließlich ständig an der Nase herumgeführt. Das kann man eigentlich nur vermeiden, wenn man zum Einsiedler wird und das ist für mich dann auch keine Lösung.

    Außerdem zeichnet sich mit dem Hybrid Konzept eine m.E. nachhaltige Lösung ab. Insofern ist das technisch überprüfte Online Schach, wo jeder unter seinem eigenen Namen spielt (Shogi-Benimm-Regel-Nr.-1) und zusätzlich eine Kontrolle stattfindet, die ideale Ergänzung und steht in sinnvollem Verhältnis von Aufwand und Nutzen.

    Obwohl wir in Deutschland leben, sind wir nicht dazu verdammt immer perfekt sein zu müssen. Wozu ein solcher Anspruch führt, sehen wir ja gerade mal wieder …

    Danke nochmal für den Beitrag. Sehr erhellend!

    • Hallo Peter,

      der Aufwand hält sich in Grenzen, wenn man zur Filterung die Software IRWIN einsetzt. Bei 3000 Teilnehmern geht es ohne automatische Prozesse nicht. Was die DSOL betrifft, werden offenbar nur Spieler geprüft, welche von irgendwelchen anderen Teilnehmern gemeldet wurden. Ich kenne einige Turnierleiter die nach dem Motto vorgehen: „Wenn sich keiner beschwert, ist alles in Ordnung„. Ich habe Partien der ersten DSOL vor einiger Zeit durch IRWIN laufen lassen und das Ergebnis war erschreckend.

      Ich kenne einige Mannschaften in der DSOL, welche Account-Sharing betreiben. Nicht immer steckt hinter einem Account der Spieler, der eigentlich spielen sollte. Wenn gegen Ende eines Mannschaftskampfes ein Remis den Sieg sichert, wird auch gerne mal in die „Trickkiste“ gegriffen. Ich habe mich mit einigen Spielern unterhalten und mittlerweile geht die Meinung dahin, dass viele das Gefühl haben betrogen zu werden und wenn es dann nicht zu Sanktionen kommt, sagen sich die Spieler „Gleiches Recht für alle!“ und greifen auch auf Engines zurück.

      Man muss das Kind einfach mal beim Namen nennen. Niemand hat wirklich Angst beim Cheaten, da es nur Indizien gibt und man keine Möglichkeit hat, jemanden auf frischer Tat zu ertappen. Ein Cheater weiß, dass es keiner wagen wird, jemanden ohne Beweis öffentlich zu diffamieren. An die Moral zu appellieren ist in der heutigen Zeit sinnlos. Da ist sich jeder selbst der Nächste und Regeln gelten grundsätzlich nur für alle anderen und nicht für einen selbst.

      Die DSOL ist für mich ein Turnier, für das ich nicht bereit bin, auch nur eine Minute meiner Lebenszeit zu opfern. Stell Dir vor, Du spielst mit jemandem ein „Mensch ärgere Dich nicht“ und Dein Gegner würfelt eine drei und geht mit seinem Stein einfach 6 Schritte. Dein Gegner sucht sich immer die Zahl raus, die er gerade braucht. Würdest Du auch nur eine Minute mit so jemandem Deine Zeit verschwenden?

      Bis sich so Dinge wie Hybrid-Schach etabliert haben, bleibe ich beim unrated Bullet 1+2.

      Benny

      PS: In Japan ist wahrhaftig nicht alles perfekt und viele Dinge laufen in die falsche Richtung. Shogi ist dort aber eine kleine Insel, in welcher eine Tradition aus respektvollem Umgang gelebt wird.

  3. Pingback: Über den Umgang mit Cheatern - Schachcomputer Topschach.de

  4. Hallo Benny,

    auch ich bin ein großer Freund des respektvollen Umgangs miteinander, was aber nicht heißt, dass man einer Meinung sein muss. Dass Du lieber 1+2 Bullet spielst als in der DSOL, ist schade.

    Deine größere Erfahrung mit Cheating im Schach erkenne ich an. Das Cheating Phänomen hat mich nie sonderlich interessiert, ehe ich, mit dem Online Schachclub Bremerhaven einen Verein für die Teilnahme an der DSOL 2 gegründet habe. Ohne die DSOL hätte es den Verein nie gegeben.

    Ich will daher drei Fragen beantworten: Ist das DSOL-Haus auf Sand gebaut? Nein. Gibt es ein Cheating Problem? Ja.– Die dritte Frage dann weiter unten.

    In der deutschen Kriminalstatistik 2019 liest man, dass es 200.910 Betrugsdelikte gab, die sich auf das Erschleichen von Leistungen bezogen. In Prozent ausgedrückt bedeutet das, dass 0,25 % der Bevölkerung Betrüger sein könnten, klammert allerdings Fälle von Mehrfachbetrug aus. Positiv ausgedrückt sind 99,75%, der in Deutschland lebenden Personen, wahrscheinlich ehrlich.

    Die gute Nachricht bei der DSOL 2 ist, dass sich die Aufklärungsquote bei Cheating Fällen im Vergleich zu 2020 vervielfacht hat. Bei ca. 8 Spielern, deren Partien annulliert wurden, von 3.000 Teilnehmenden bedeutet dies, dass 99,73% der Spieler vermutlich ehrlich spielten. (2020 lag die Quote noch bei 99,94%). Das sieht im Moment für mich erst mal so aus, als wären Schachspieler genau so ehrlich wie der Rest der Bevölkerung.

    Nun kommen wir zur Grauzone. An anderer Stelle liest man 90,00% der Spieler der DSOL 2 spielen ehrlich. Das klingt nach einer echten Story mit Sex and Crime. Donnerwetter – 10% Betrüger. Allerdings möchte derjenige, der die Zahl ursprünglich in die Welt gesetzt hat, nicht genannt werden.

    Ich vermute, dass die Wahrheit näher bei den 99,73%, als bei 90,00% liegt. Gut wäre es sicher, wenn wir die Klärung dieser Frage einer neutralen Instanz, wie der Anti-Cheating Kommission zu überlassen, anstatt dass jeder selbst anfängt den Richter zu spielen. Dann wäre das Desaster vorprogrammiert.

    Ich möchte an dieser Stelle mal darauf hinweisen, dass wenn wir eine Erfolgstory wie die DSOL, die es auch nach Corona weitergeben wird, schlechtreden, am Ende gar nichts haben, außer vielleicht einem illustren Völkchen von Blitz-Spielern, das auf diversen Schachplattformen auf bescheidenem Niveau vor sich hindümpelt. Mit Turnierschach hat das m.E. nichts zu tun.

    Die dritte Frage: Ist das real existierende Cheating Problem in der DSOL lösbar? Ja!

    Es liegt in der Natur der Sache, dass dem Cheating Problem mit rein statistischen Methoden nicht 100% beizukommen ist. Wir müssen daher für die DSOL eine gewisse Grauzone akzeptieren, die möglichst klein sein sollte.

    Bei Turnieren mit Preisgeldern sollte auf die hybride Turnierform umgeschwenkt werden. Allerdings halte ich dieses Verfahren für eine komplette Umstellung der DSOL für zu aufwendig. Die DSOL sollte in jeden Fall beibehalten werden, und langfristig auch die etablierte Turnierform für die Mannschaftswettkämpfe der mittleren und unteren Klassen werden. Ich hab vor 40 Jahren mal aufgehört mich an Schachturnieren zu beteiligen, weil mir die Fahrerei, die meist 50% der Zeit gekostet hat, zu aufwendig wurde.

    Nach einer akzeptablen Lösung des Cheating Problems sollte es in absehbarer Zeit auch möglich sein in der DSOL eine DWZ Wertung zu erhalten.

    Dies setzt m.E. voraus, dass die Kommission nicht nur bei Beschwerden aktiv wird, sondern auch proaktiv das Verhalten einzelner Spieler monitort. Wahrscheinlich ist dies diesmal am Ende der Vorrunde aber schon geschehen und es wurden für zwei Spieler Partien annulliert. Auch die Vereine können darauf achten, dass es Ihre Spieler nicht übertreiben. Warum in der 1. Liga ein Spieler mit einer DWZ im 1600 Bereich erst mal eine längere Erfolgsserie hinlegen musste, er man ihn aus dem Verkehr zog, ist mir nicht so ganz ersichtlich. Aber auch das kann man sicher noch verfeinern.

    VG

    Peter

    • Hallo Peter,

      vielen Dank für Deinen Beitrag. Ich glaube nicht, dass man eine Kriminalstatistik prozentual mit Schummeleien beim Onlineschach vergleichen kann. Wir haben es beim Onlineschach ja nicht mit Straftaten, sondern maximal mit Vergehen zu tun. Würde man jeden Autofahrer der mal wegen zu schnelles Fahren geblitzt wurde in die Kriminalstatistik aufnehmen, wäre praktisch jeder kriminell.

      Das Erfolgsmodell DSOL funktioniert nur, weil die meisten sich keine Gedanken darüber machen, ob ihr Gegenüber fair spielt. Das ist auch vollkommen in Ordnung. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Ich glaube auch fest daran, dass die meisten einfach nur Schach spielen wollen und überhaupt nicht auf die Idee kommen, beim Spielen zu schummeln. Wenn man aber genau weiß, worauf man achten muss um Cheater zu erkennen, steht man vor einem Dilemma. Für einen selbst ist die Sache ziemlich klar, aber solange man einen Turnierleiter und Schiedsrichter davon nicht überzeugen kann, steht man ziemlich alleine da. Sowas frustriert und ich persönlich habe keine Lust, gegen ignorante Wände zu rennen.

      Stellen wir uns einfach mal folgende Situation vor. Ein Ehepaar geht zur Krebsvorsorge zu einem Arzt. Der Arzt entdeckt auf dem Röntgenbild der Ehepartnerin Brustkrebs. Nun sagt der Ehepartner einfach, dass er auf dem Röntgenbild keinen Brustkrebs erkennen kann. Der Arzt versucht es dem Ehepartner zu erklären, aber der versteht nur Bahnhof. Er sieht nichts, also ist da auch nichts.

      Die Idee von hybriden Schachturnieren finde ich gut, aber die Voraussetzungen die ein Turnierveranstalter dafür schaffen muss, sind außerordentlich groß. Bisher sind solche Turniere ziemlich rar.

      Ich kann nur hoffen, dass wir spätestens 2022 wieder an die richtigen Bretter dürfen. Bis dahin bleibe ich beim Online-Bullet. 🙂

      Viele Grüße

      Benny

      • Hallo Benny,

        nachdem mein Verein sich gestern Abend in der 5. Liga in einen superspannenden DSOL Halbfinale durchgesetzt hat, möchte ich den Gesprächsfaden noch mal aufgreifen. Wie Du weißt, hatte ich mich aus aktuellem Anlass zuvor intensiv mit Deiner Beschreibung des ‚Cheaters mit Verstand‘ auseinandergesetzt.

        Ja es gibt Ihn, den Cheater mit Verstand und auch gestern riss eine unglaubliche Siegesserie nicht. Eine weitere Partie wird es jedoch nicht geben, da die fragliche Mannschaft ausgeschieden ist.

        Auf unseren proaktiven Hinweis, dass es doch recht merkwürdig ist, wenn ein Spieler so viele Partien gegen z.T. wesentlich stärkere Gegner gewinnt, ohne einen einzigen gröberen Fehler zu machen, erhielten wir folgenden Hinweis:

        „Die Werte der Centi-Pawn-Loss-Analyse legen nicht nahe, dass die Nutzung fremder Hilfe in Anspruch genommen wurde. Nach den Partieverläufen wurden immer wieder, …, Fehler gemacht.“

        Klar, weil eben mit Absicht nicht der stärkste Engine Zug gewählt wurde, sondern relativ oft auch Nr. 2, 3, 4, 5 oder 6. Da läuft die CentiPawn-Analyse natürlich ins Leere. Allerdings scheint die Überprüfung der Partien in unserer Liga, während ich das schreibe, noch zu laufen. Es besteht also noch Hoffnung.

        Die Mannschaftsleitung hatte vor der Runde abgesprochen, dass wir das Turnierergebnis als Verein in jedem Fall akzeptieren und keinen Protest einlegen. Ein Vergehen kann nach unserer Ansicht nur durch eine neutrale Instanz geahndet werden.

        Trotz einiger Cheatingfälle, die geahndet wurden, habe ich das Gefühl, dass die DSOL insgesamt auf dem Weg der Genesung ist und dass das Fangnetz dichter wird. Dafür braucht es aber Leute, die wissen, worauf es ankommt, so wie Dich. Lass Dich also nicht zu sehr frustrieren und bleib am Ball.

        Noch eine kurze Anmerkung zu ‚Wir haben es beim Onlineschach ja nicht mit Straftaten, sondern maximal mit Vergehen zu tun.‘

        Ich empfehle diesbezüglich mal den ausgezeichneten Artikel ‚Die Strafbarkeit von Cheating‘ von Prof. Dr. Michael Kubiciel der über Google leicht zu finden ist. Der genaue aktuelle Stand ist mir zwar nicht bekannt, aber die Sache bewegt sich auf von dieser Seite in die richtige Richtung.

        Danke noch mal für Deine ausgezeichnete Analyse.

        Weiter so.

        VG

        Peter

        • Hallo Peter,

          vielen Dank für den interessanten Kommentar. Der Prüfungskommission der DSOL fehlt es meiner meiner Meinung nach an Erfahrung. Unerfahrenheit führt zu Zweifel und im Zweifel ist der vermeintliche Cheater freizusprechen. Wir benötigen daher erfahrene Personen in der Prüfungskommission, welche in der Lage sind, Zweifel auszuräumen und die Indizien im Gesamten richtig zu bewerten. Es sind weniger die Cheater die mich nerven, sondern eher die Inkompetenz und Faulheit mancher Prüfer.

          Jemanden vom Cheatingvorwurf freizusprechen ist bequem, einfach und macht keine Arbeit.

          Eine Aussage wie „Die Werte der Centi-Pawn-Loss-Analyse legen nicht nahe, dass die Nutzung fremder Hilfe in Anspruch genommen wurde. Nach den Partieverläufen wurden immer wieder, …, Fehler gemacht.“ ist ein gutes Beispiel für Faulheit. Die Centi-Pawn-Analyse reicht überhaupt nicht aus, um sich auch nur annähernd ein Urteil darüber zu bilden, ob fremde Hilfe im Spiel war. In Deinem Fall wird es als Totschlagargument verwendet.

          Wenn man mittels Engine im Mittelspiel Materialvorteil erlangt, kann jeder Vereinsspieler den Rest selbst zu Ende spielen. Natürlich tauchen dann auch ungenaue Züge und Fehler auf, aber am Ende wird man Dank des Mehrmaterials trotzdem gewinnen und wenn die Prüfungskommission die Partie durch die Centi-Pawn-Analyse rutschen lässt, sind genügend Fehler vorhanden, um jeglichen Cheatingverdacht auszuräumen.

          Wer mit seinen Augen nur die Farbe blau sehen kann, wird auf der Suche nach einem Wald immer im Meer landen.

          Viele Grüße

          Benny

  5. Bin dabei, mir so ein Versuchslabor aufzubauen, aber…

    wie bearbeitest Du z.B. eine 213GB-Datei (Partien März 2021) mit einem Standard-PC zwecks Training des NN?

    • Für sowas nehme ich Server im Rechenzentrum. Ich lasse ziemlich viele Sachen per Remote laufen, da einen ansonsten die Stromrechnungen auffressen würden. Die Partiedatenbanken sind bei Lichess im PGN-Format gespeichert. Zur Bearbeitung muss man diese sowieso splitten, da kein Schachprogramm diese Datenmengen im PGN-Format verarbeiten kann. Da kann man sich aber passende Scripte schreiben. Das sieht dann in der Ausgabe so aus:

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